Die HiFi-Hörschule
Hören und beurteilen lernen anhand von Musikbeispielen
Um heraus zu finden, wie gut eine HiFi-Anlage klingt, muss man einfach nur gut hinhören.
Doch haben Sie dabei auch manchmal das Problem, dass Sie nicht so genau wissen, worauf Sie beim Hören achten müssen?
Haben Sie sich deshalb schon mal gewünscht, Ihnen würde jemand anhand von Musikbeispielen verdeutlichen, wie man „richtig hört“ und das Gehörte zu beurteilen ist?
Nun – genau das will ich mit meiner „HiFi-Hörschule“ versuchen.
Zwar gibt es zur Bewertung einer HiFi-Anlage eine Vielzahl von Kriterien die zu beachten sind und einige davon eignen sich überhaupt nicht dafür, sie in einem Bericht zu beschreiben, aber ich bin mir sicher:
Wenn Sie erst einmal den ersten Schritt gemacht haben, dann kommen die anderen ganz von allein.
Denn wie immer ist auch hier das Anfangen das schwierigste.
Also los!
Was Sie zum Mitmachen brauchen.
Da diese HiFi-Hörschule auf Musikbeispielen basiert, brauchen Sie natürlich die besprochenen Musik-Titel. Hierbei ist es egal, ob Sie sie auf CD besitzen, auf LP oder aus dem Netz streamen.
Um Ihnen die Chance einzuräumen, auf alle Titel zugreifen zu können, habe ich mich auf Songs und Veröffentlichungen beschränkt, die auf Qobuz, Tidal und Spotify zum Streamen bereitstehen.
Perfekt wäre es also, wenn Sie ein hochwertiges Streaminggerät zur Verfügung hätten.
Keine Ursachenforschung!
Diese HiFi-Hörschule ist nicht dazu geeignet, die Ursache dafür zu ermitteln, wenn Sie meine Beschreibungen an Ihrer Anlage nicht nachvollziehen können. Es geht hier auch nicht um die Frage, welche Wiedergabe „richtig“ und welche „falsch“ ist. Es geht nur darum, dass die Aufnahmen sehr unterschiedlich sind. Von Titel zu Titel muss also auch bei Ihnen eine Veränderung zu hören sein. Nur darum geht es hier.
Das Thema: Der Aufnahmeraum
Auf der einen Seite steht der Künstler, auf der anderen die Tontechniker.
Wer als aktueller Star nur mal eben schnell den nächsten Sommerhit produzieren will, dem ist es vermutlich gleichgültig, von welchem Studio sein Titel produziert wird.
Doch ein Künstler mit hohem Anspruch an die Klangqualität, der sucht natürlich schon nach dem „besonderen“ Aufnahmestudio.
Haben sich die beiden gefunden – geht uns High-Endern das Herz auf.
Unterpunkte des Themas „Der Aufnahmeraum“ sind die folgenden Begriffe:
- Räumlichkeit
- Ortbarkeit
- Breitenstaffelung
- Tiefenstaffelung
- Vertikale Abbildung
- Größenabbildung
- Abstand der Musiker zueinander
Theoretischer Teil – oder: Die Aufnahme
Musik nehmen wir mit einem Mikrofon auf.
Ein (!) Mikrofon – das bedeutet: Mono oder eben nur ein Kanal.
Es bedeutet auch: Keine Dreidimensionalität.
Um dreidimensional sehen oder hören zu können, brauchen wir zwei Augen, zwei Ohren.
Um Musik dreidimensional aufnehmen zu können, brauchen wir zwei Mikrofone.
Diese beiden Mikrofone so aufzustellen, dass alle Stimmen, alle Instrumente und auch die Rauminformationen so aufgezeichnet werden, dass man beim Abhören glaubt, sich wieder im Aufnahmeraum zu befinden, das ist die „hohe Kunst“ der Tonmeister und -techniker.
In manchen Aufnahmesituationen sind aber auch die größten Könner unter ihnen mit dieser Aufgabe überfordert und dann brauchen auch sie einfach mehr als zwei Mikros.
Deshalb wurde die Mehrspurtechnik entwickelt.
Mit ihr konnte man nun mehr als zwei Mikrofone aufstellen, einzelnen Stimmen und Instrumenten eigene Mikros, also eigene Spuren geben, sie sogar zeitlich nacheinander oder an völlig unterschiedlichen Orten aufzeichnen. Waren sie so wie man sie haben wollte – also fehlerfrei eingespielt, mischte man alle Spuren zu einer Zweikanalaufnahme zusammen.
Einige Tontechniker unterlagen den Reizen der Mehrspurtechnik und so entstanden die berühmten Ping-Pong-Aufnahmen, wie wir sie z.B. von frühen Beatles-Aufnahmen kennen. Zieht man den Stecker vom rechten Kanal ab – ist Paul McCartney verschwunden, zieht man den linken Stecker, macht Ringo eine Pause.
Der nächste technische Schritt lag dann darin, dass man diese einzeln aufgenommenen Spuren am Mischpult dreidimensional „im Raum verschieben“ konnte.
Der Tontechniker von Pink Floyd war z.B. davon so begeistert, dass er bei Grantchester Meadows das Gezwitscher eines Vogels eindrucksvoll – aber völlig unrealistisch – dreidimensional durch den Raum schwirren lässt.
Durch die Mehrspurtechnik gelang es, auch sehr schwierige Aufnahmesituationen zu meistern, z.B. große Orchester aufnehmen und abmischen zu können.
Doch was wird aus der „Rauminformation“, wenn jedes Instrument einzeln, an einem anderen Ort, in einem anderen Raum und zu einer anderen Zeit aufgenommen wurde? Wenn es also unterschiedliche Aufnahmeräume gegeben hat?
Antwort: Es kommt darauf an.
Entweder, der Tonmeister verzichtet einfach auf „den Raum“, oder er gönnt ihm vielleicht eigene Spuren. Oft erzeugt er ihn aber auch künstlich durch Hall und Echo oder er „ruft ihn ab“. Ein Knopfdruck und wir sind im Concertgebouw in Amsterdam, in der Carnegie Hall in New York – oder wo auch immer.
Für uns zuhause heißt das nichts anderes, als dass unsere Anlage uns im besten Fall mit jedem neuen Titel auch in einen neuen Raum hineinführen sollte.
Praktischer Teil
Titel 1
Kommen wir jetzt zu den Musikbeispielen und beginnen wir mit dem Stück „For the good times“ von Al Green. (Aus dem Album „I`m still in Love with you“. Das Original stammt aus dem Jahr 1972, die Portale präsentieren uns die Neuauflage aus dem Jahr 2013)
Der Titel beginnt mit einem „sehr kleinen“ Schlagzeug, das nur ganz knapp nach links (vom Hörer aus gesehen) aus der Mitte versetzt ist und einer Elektroorgel, die sich den Standplatz mit dem Schlagzeuger zu teilen hat. Einen Hinweis auf den Aufnahmeraum suchen wir vergebens.
Wie der Schlagzeuger seine „Schießbude“ aufgebaut hat, erfahren wir ebenfalls nicht. Die Snare, die Base-Drum und das Hi-Hat scheinen allesamt am gleichen Ort zu stehen. Auch ein „Oben“ und „Unten“ gibt es nicht wirklich. Alles befindet sich etwa einen Meter über dem Fußboden. Das ist zumindest für die Base-Drum zu hoch.
Nach wenigen Sekunden setzen dann links die Streicher ein. Auch hier gibt es keinen Hinweis auf den Aufnahmeraum, der ja jetzt eigentlich „recht groß“ sein müsste.
Wenn Al Green zu singen beginnt, wird es zunehmend „seltsam“, denn er scheint „mitten im Schlagzeug“ zu sitzen. Zu sitzen deshalb – weil auch seine Stimme ihren Ort der Entstehung (Mund genannt) gerade einmal einen Meter über dem Boden zu haben scheint.
Nach etwas mehr als einer Minute setzt dann rechts der Background-Chor ein.
Auch er verfügt wieder über keinen „Raum“, steht aber für einen Background-Chor viel zu weit vorne.
Bei etwa 1:20 gibt es dann ein kleines „Yeah“ der zweiten Stimme, die – wenn man es böse ausdrücken wollte – so wirkt, als säße ein Papagei auf der rechten Schulter von Al Green.
Ab 1:40 zeigt uns dieser „Papagei“ dann aber zum Glück, dass er uns mit einer sehr schönen Stützstimme für Al Green überraschen kann.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden – ich mag diese Aufnahme sehr, jedoch ist sie ein wunderbares Beispiel dafür, dass manche Aufnahmen leider völlig ohne „Rauminformationen“ auskommen müssen. Wenn wir versuchen, in den Raum hinein zu hören, kommen wir zu der Überzeugung, dass hier „das Licht ausgeschaltet“ war – es herrschte einfach völlige Dunkelheit.
Manche sprechen davon, dass man das Gefühl hat, die Musiker würden unter einer Wolldecke spielen und singen.
Räumlichkeit
Es gibt hier keinen Hinweis auf den Aufnahmeraum.
Ortbarkeit
Die Ortbarkeit beschränkt sich auf die vom Tontechniker gewählten Rechts-Links-Informationen. Links die Streicher, rechts der Background-Chor, alles andere ist leicht nach links aus der Mitte versetzt. Und zwar alles am gleichen Platz!
Breitenstaffelung
Die Stereobreite wird durch eine künstliche Positionierung der Streicher und des Chors recht gut ausgenutzt.
Tiefenstaffelung
Die gesamte Aufnahme findet in einem Abstand von ein bis zwei Metern hinter den Boxen statt.
Das kann so nicht stimmen, denn allein die Streicher haben sicherlich einen größeren Platzbedarf gehabt.
Vertikale Abbildung
Streicher und Chor sind etwas höher angesiedelt, alles andere findet auf einer Höhe von etwa einem Meter statt. Sowohl die Base-Drum als auch Al Greens Gesang.
Größenabbildung
Vor allem das Schlagzeug ist viel zu klein.
Abstand der Musiker zueinander
Schlagzeug, Orgel, Gesang und Zweitstimme müssen sich den selben Platz in der Mitte teilen. Die Streicher und der Chor wurden vom Tontechniker nach rechts und links „verschoben“, damit es sich „im Radio schön anhört“.
Gehört mit einem Premium-Account auf Spotify:
Das Beispiel kann problemlos nachvollzogen werden. Durch gewisse Ungenauigkeiten fallen die Fehler aber weniger auf.
Titel 2
Ich wechsle zu folgendem Titel: „Pretend“ vom Album „Shadows – Songs from Nat King Cole“, gesungen von Hugh Coltman aus dem Jahr 2016.
Dieser Titel wirkt vom ersten Ton an völlig anders, weil er mit einer E-Gitarre auf der linken Seite beginnt, die dreidimensional im Raum zu stehen scheint. Eine E-Gitarre „hat keinen Raum“ – dennoch ist es dem Tontechniker gelungen, uns mit dem Aufziehen der Mikrofone sofort in die Szene hinein zu ziehen und dieser E-Gitarre tatsächlich einen Platz im Raum zuzuweisen.
Das gibt der Aufnahme einen starken Life-Eindruck, der noch dadurch verstärkt wird, dass die Gitarre nicht ganz sauber gespielt wird. Es ist also offenbar nicht die Perfektion, die hier im Vordergrund stand, sondern der Wunsch, dem Hörer das Gefühl zu geben, bei der Aufnahme life dabei zu sein.
Man hört zwar zunächst nichts als diese E-Gitarre – aber der „Raum“ ist bereits da. Man ahnt schon, dass sich in ihm noch mehr Musiker versammelt haben und ist gespannt darauf, was noch wo passieren wird.
Auch der nach wenigen Sekunden einsetzende E-Bass lässt wieder keinen Zweifel daran, dass er sich fast mittig im Raum und zur Gitarre etwas nach hinten versetzt befindet und damit ebenfalls einen Platz zugewiesen bekommen hat. Man kann die Augen schließen und sieht sich förmlich vor einer kleinen Bühne stehen.
Der einsetzende Gesang wird begleitet von einem mächtigen Tritt auf die etwas schlaff gespannte Base-Drum, die dadurch riesig wirkt und eher schlecht zu orten ist.
So ist es in Wirklichkeit auch!
Hi-Hat und Snare werden schön in unterschiedlichen Höhen und wie es sich gehört – nebeneinander (!) abgebildet.
Hugh Coltman steht vor seinem Mikrofon, er steht dort – mittig auf der Bühne und man kann „sehen“, wie er lässig eine Hand in der Tasche hat und mit viel Gefühl diesen alten Song präsentiert. Auf der rechten Seite „klimpert jemand am Klavier“. Hören Sie sich dieses Klavier an! Wenn das nicht auf einer Holzbühne in einem “Tanzraum” steht – dann kann ich nicht hören.
Man ist mittendrin in einer Party-Szene zu vorgerückter Stunde.
Hier hört man keine „bis zum „Geht-nicht-mehr“ ausgefeilte Studioaufnahme, sondern man ist auf der Feier!
Die Lichtorgeln wechseln langsam ihre Farben und irgendwo dreht sich eine Spiegelkugel. Girlanden ziehen sich um die Bühne.
Man hört nicht einfach nur zu – man ist dort!
Wer hier nicht zwischen sich und Hugh Coltman eng umschlungene Paare verliebt tanzen „sieht“, der sollte sich diesen Titel noch einmal anhören, wenn er in einer anderen Stimmung ist.
Räumlichkeit
Kein Zweifel, wir sind im Garten oder in einer Tenne, einer „Tanzdiele“.
Ortbarkeit
Hier wird das Unmögliche möglich gemacht. Selbst elektronische Musikinstrumente bekommen einen Platz im Raum, als seien sie zu akustischen Instrumenten verzaubert worden. Nur die Stimme ist etwas groß geraten, aber man glaubt sofort, dass das dort „eben so gewesen ist“.
Breitenstaffelung
Sie ist glaubhaft – genau dadurch, dass nicht die maximale Stereobreite ausgenutzt wird. Hierdurch entsteht ein natürlicher Abstand zwischen uns und der Bühne. Wer allerdings genau hinhört, der wird das Gefühl bekommen, dass der Raum selbst rechts, links und nach hinten überhaupt keine Grenzen (Wände) zu haben scheint.
Tiefenstaffelung
Auch hier schöpft die Aufnahme ihre Qualität daraus, dass nichts übertrieben wird. Kleinste Unterschiede werden deutlich. Der Bassist steht weiter weg von uns als Hugh Coltman, aber eben nicht mehrere Meter weit, sondern nur „ein Stück weit“.
Vertikale Abbildung
Die Musik spielt eine Winzigkeit „höher“ als wir es gewohnt sind. Auch das verstärkt den Eindruck, dass auf einer Bühne gespielt wird.
Größenabbildung
Man muss nur die Augen schließen und glaubt, zu jedem Musiker hingehen zu können. Da ist keine Spur von einem kleinen „Mäusekino“ oder „Puppentheater“.
Das Schlagzeug wird auch nicht so weit auseinander gezogen, dass der Schlagzeuger drei Meter lange Arme braucht.
Abstand der Musiker zueinander
Absolut glaubhaft. Niemand nimmt einem anderen den Platz weg, aber man steht auch nicht so weit auseinander, dass man nicht mehr zusammengehören würde. Mir macht es am meisten Spaß, dass die E-Gitarre und der E-Bass so abgebildet werden, wie akustische Instrumente. Das ist nicht echt – macht aber Spaß!
Gehört mit einem Premium-Account auf Spotify:
Das Beispiel kann mit einer MP3-Datei nur bedingt nachvollzogen werden. Die Stimme wird hier viel zu groß dargestellt. Die Instrumente sind nicht „punktgenau“ zu orten, sondern bedecken große „Flächen“ im Raum. Die Raumtiefe ist nicht wahrnehmbar. Der Life-Eindruck geht verloren, die Aufnahme wirkt hier einfach nur „zermatscht“.
Titel 3
Kommen wir zum nächsten Beispiel für einen eindrucksvoll präsentierten Aufnahmeraum und damit zum neuen Album „Spotlight“ von Rolf Kühn (2016). Hieraus habe ich den Titel „Laura“ ausgesucht.
Der Titel beginnt mit der von Albrecht Mayer gespielten Oboe. Sobald die Mikros „aufgezogen“ werden, befinden wir uns mitten im Aufnahmeraum. Zwar hören wir zunächst eigentlich nur die Oboe, die sich wieder einmal halblinks befindet, aber obwohl im rechten Kanal noch nichts zu hören ist, zweifeln wir keine Sekunde daran, dass auch dort die Mikros „offen“ sind, wir die Luft dort ahnen können und da jemand auf seinen Einsatz wartet.
Verstärkt wird dieser Raumeindruck von einem seltsamen, leisen Geräusch, das genau aus der Mitte kommt und zunächst so klingt, als wären dort sehr weit in der Raumtiefe Trommeln zu hören.
Doch diese Trommeln entpuppen sich immer mehr als Kontrabass, für den sich hier Oliver Potratz verantwortlich zeigt. Nach nicht ganz einer Minute setzt dann auch Rolf Kühn wie vorausgeahnt auf der rechten Seite mit seinem Klarinettenspiel ein.
Über den gesamten Titel hinweg bleibt der abgebildete Raum authentisch und glaubhaft.
Und das auch, obwohl man sich denken kann, dass die Instrumente tatsächlich einzeln im Studio eingespielt wurden.
Räumlichkeit
Es ist „Luft“ vorhanden und man glaubt, sich in einem Raum zu befinden indem diese Musiker gemeinsam spielen. Hinweise auf die Größe des Raums oder die Beschaffenheit der Wände erhalten wir jedoch nicht.
Ortbarkeit
Mit der Stecknadel können wir hier die Austrittsöffnung der Oboe fixieren und fast jede Bewegung dieses Instrumentes nachverfolgen. Und das gilt auch für die Klarinette und den Bass.
Die Tatsache, dass die Blasinstrumente bei wirklich jedem gespielten Ton wie festgemeisselt an ihren Standorten verbleiben und wir nachvollziehen können, wie die Musiker ihre Instrumente bewegen, ist um so beeindruckender, wenn man es auch anders kennt. (siehe MP3)
Breitenstaffelung
Es wurde auf das Maximum verzichtet, was glücklicherweise die Aufnahme natürlicher wirken lässt.
Tiefenstaffelung
Hier spielt man anfangs mit unseren Sinnen und täuscht sie. Der Bass scheint zunächst eine extrem weit hinten gespielte Trommel zu sein. Der Raum scheint also eine große Tiefe aufzuweisen. Erst nach und nach erschließt sich dann die Ursache der „Geräusche“ und wir sehen den Bass greifbar nahe.
Vertikale Abbildung
Fehlerfrei – ohne Tadel.
Größenabbildung
Auch in diesem Punkt ist es den Tontechnikern gelungen, in uns die Illusion zu erzeugen, wir dürften life bei der Aufnahme dabei sein.
Abstand der Musiker zueinander
Auf Grund der recht spärlichen Besetzung besteht keine Gefahr, dass sie zu eng beieinander stehen könnten, aber auch die gewollte Trennung der Instrumente zerreißt das Trio nicht, sondern lässt sie miteinander (!) kommunizieren.
Gehört mit einem Premium-Account auf Spotify:
Das Beispiel kann mit einer MP3-Datei nur bedingt nachvollzogen werden. Die Instrumente werden zerrissen. Die Oboe und die Klarinette scheinen je nach Tonhöhe an völlig unterschiedlichen Orten positioniert gewesen zu sein. Ich habe es nicht geschafft, mir den Titel länger als zwei Minuten anzuhören.
Titel 4
Kommen wir zum nächsten Musikbeispiel und damit zum Titel „Strange Fruit“ von Cassandra Wilsons Album „New Moon Daughter“, das uns auf den Portalen in der Blue-Note-Records-Version aus dem Jahre 2013 angeboten wird. Cassandra Wilson gilt als eine Art Vorzeige-Sängerin, wenn es darum geht, Musiker mit audiophilen Ansprüchen zu nennen.
Das Stück beginnt halblinks mit einem Geräusch, gefolgt vom Kontrabass in der Mitte. Dann setzt links die Trompete ein und rechts ein Saiteninstrument, vermutlich ein Banjo oder eine Mandoline.
Danach beginnt Cassandra Wilson halblinks mit ihrem Gesang.
Tolle Stimme – tolle Musik – absolut gestochen scharfe Ortbarkeit.
Keines der Instrumente lässt irgendeinen Zweifel daran aufkommen, wo genau es sich im Raum befindet.
Doch welche Hinweise erhalte ich auf den Raum?
Um es „höflich“ zu sagen: Nicht viele.
Die Stimme von Cassandra Wilson hat einen Hall und erweckt hier und da den Eindruck, wir könnten einen Raum wahrnehmen – aber das war es auch schon, denn dieser Raum wird von den Instrumenten so nicht bestätigt.
Der Hall, das Echo der Trompete müsste doch irgendwann – irgendwie einmal – wenigstens andeutungsweise – auch in der rechten Raumhälfte zu hören sein. Es ist doch ein lautes Instrument! Das ist aber nicht der Fall.
Auch der Raum auf der linken Seite müsste doch so etwas wie eine Raumhöhe haben, in die sich die Trompetentöne ausdehnen – aber auch hier: Fehlanzeige! Wir hören einen kleinen Raum um die Trompete, aber nach 30 bis maximal 50 Zentimeter um sie herum ist sie nicht mehr zu hören. Immer wieder kommt ein kleiner Hoffnungs-Schimmer auf – aber er verschwindet so schnell wie er gekommen ist. Es gibt definitiv keinen “Gesamtraum” – es gibt im besten Fall kleine Räume um Cassandras Stimme und um jedes Instrument.
Räumlichkeit
Sie ist leider nicht vorhanden. Auf dieser Aufnahme gibt es keinen Aufnahmeraum, in den man sich „hineindenken“ kann.
Ortbarkeit
Gestochen scharf – mit der Bleistiftspitze können wir auf jedes Instrument tippen und seine Umrisse nachzeichnen.
Breitenstaffelung
Hier wird das Maximum nahezu ausgenutzt, aber dennoch wirkt die Aufnahme nicht künstlich auseinander gezogen.
Tiefenstaffelung
Zwar gibt es Instrumente, die weiter weg stehen als andere, aber über die Tiefe des Aufnahmeraums gibt es keine Informationen.
Vertikale Abbildung
Die korrekte Abbildung der Instrumente und Stimmen in der vertikalen Achse ist gelungen.
Größenabbildung
Jedes einzelne Instrument hat seine glaubhafte – natürliche Größe.
Abstand der Musiker zueinander
Authentisch – damit meine ich – so wie „in Wirklichkeit“.
Gehört mit einem Premium-Account auf Spotify:
Dadurch, dass die MP3-Datei unpräziser abbildet, verschwimmen die Instrumente ein wenig ineinander und wechseln tonhöhen-abhängig schon mal den Standort. Die Ortbarkeit wird dadurch schlechter, der Raumeindruck nimmt jedoch zu. Als MP3-Datei gehört glaubt man fast, dass doch ein realistischer Aufnahmeraum aufgezeichnet wurde.
Titel 5
Zum Abschluss dieses Berichts möchte ich es nicht versäumen, Ihnen noch eine meiner Lieblingsaufnahme zu empfehlen, die zeigt, wie man den Aufnahmeraum vorbildlich darstellen kann. Hierzu nehme ich den Titel „Death Scene“ von Chuck Mangione aus seinem Album „Children of Sanchez“ aus dem Jahre 1978.
Die Geschichte, die man sich zu dieser Musik erzählt lautet, dass Chuck die beiden Musiker Grant Geissman (Gitarre) und Ron Leonard (Cello) zusammenbrachte und ihnen mitgeteilt haben soll, dass er keine Zeit mehr hätte, ein passendes Stück zu komponieren. Er brachte ihnen lediglich das musikalische Grundthema nahe und bat sie, etwas zur Sterbe-Szene passendes zu improvisieren.
Man erzählt sich, dass der allererste Versuch der beiden Musiker aufgenommen wurde und auf dem Album zu hören ist. Ich kann nicht nachprüfen, ob diese Geschichte wahr ist, aber ich glaube daran.
Geissman beginnt mit seinem Gitarrenspiel. Er sitzt ziemlich mittig und etwa zwei Meter hinter der Lautsprecher-Grundlinie. Er sitzt (!) – „oben/unten“ wird hier realistisch reproduziert.
Es kommt zu keiner Zeit ein Zweifel daran auf, dass wir den Aufnahmeraum hören können, dass wir uns „in ihm“ befinden. Je nachdem, wie er die Gitarre hält und abhängig von der Tonhöhe, schwingen die Töne abwechselnd nach rechts oder links in den Raum hinein und hallen dort von den Wänden und auch vom Fußboden zurück.
Das macht es uns manchmal schwer, die Gitarre zu orten. Aber so ist es auch, wenn wir life dabei sind.
Etwa bei 1:35 erhält Ron Leonard ein Zeichen von Geissman in Form eines sanft gespielten Akkords mit Einzeltönen (Arpeggio) und er setzt mit seinem Cello-Spiel ein. Leonard steht leicht rechts neben und hinter Grant Geissman. Obwohl wir bis zu diesem Zeitpunkt nichts von ihm gehört haben, überrascht es uns nicht, dass da plötzlich noch ein zweiter Musiker zu hören ist. Irgendwie hatten wir ihn schon die ganze Zeit über bemerkt. Während sich die hohen Töne des Cellos vor allem nach rechts oben in den Raum ausdehnen, füllen die tiefen Cello-Töne fast die gesamte linke vordere Raumhälfte aus und wir „sehen“ den Raum, als würde er von den Tönen „ausgeleuchtet“ werden wie von einer Taschenlampe.
Die extrem leisen, mit den Fingernägeln gespielten Gitarrentöne können wir absolut punktgenau orten, weil sie viel zu leise, zu hoch und irgendwie „zu klein“ sind, um sich in den Raum hinein ausdehnen zu können.
Erst ganz zum Schluss werden dann das Orchester und Chucks Stimme mit eingemischt, um uns wieder in die „Filmmusik“ zurück zu holen. Hierbei zerstört man zwar den Raumeindruck, aber genau dadurch, haben wir auch den direkten Vergleich zu dem, was uns noch vor einigen Sekunden so fasziniert hat.
Räumlichkeit
Mit dem Aufziehen der Mikros ist man im Aufnahmeraum. Es ist kein besonderer Raum, keine Kirche, kein Saal. Die beiden Musiker sind einfach in einem „Zimmer“. Und wir mit ihnen gemeinsam!
Ortbarkeit
Schlicht: genial.
Breitenstaffelung
Während sich die Instrumente mit der Raummitte begnügen, zeigen uns die reflektierten Schallwellen, dass es rechts und links noch „weiter geht“. Die Resonanzen der Instrumente, die sich je nach Tonhöhe in unterschiedliche Richtungen ausbreiten, sind ein klarer Hinweis darauf, dass sie „im Raum stattgefunden haben“ und nicht künstlich hinzugemischt wurden.
Tiefenstaffelung
Ron Leonard ist weiter von uns entfernt als Grant Geissmann. Da das Cello einen höheren Pegel erreicht als die Gitarre, ist auch das für mich ein Beleg dafür, dass man die Aufnahme so perfekt „im Kasten“ haben wollte, dass niemand mehr daran etwas korrigieren musste.
Vertikale Abbildung
Geissmann sitzt, Leonard steht – die Resonanzen sind mal rechts oben, mal links unten. Hier wird nichts „erfunden“, aber was da ist – ist da.
Größenabbildung
Völlig realistisch. Beide Instrumente haben ihre natürliche Größe. Nichts wirkt aufgedunsen oder geschrumpft.
Abstand der Musiker zueinander
Hier gibt es kein PingPong – nicht die Gitarre links und das Cello rechts, hier werden keine Gelüste nach außergewöhnlichen Ereignissen befriedigt. Hier steht ein Cellist hinter und ganz leicht rechts neben einem sitzenden Gitarristen. Wie sagt man so gerne? Weniger ist mehr. Und genau das ist hier der Fall!
Gehört mit einem Premium-Account auf Spotify:
Das Beispiel kann nur sehr bedingt mit einer MP3-Datei nachvollzogen werden. Die Instrumente sind einfach viel zu groß und ungenau dargestellt. Die Gitarre „erschlägt“ uns bereits mit ihren ersten Tönen. Der Direktschall und der Diffus-Schall vermischen sich und an manchen Stellen ist es unmöglich zu sagen, wo die Musiker gespielt haben. Ein solches Juwel hört man einfach nicht als MP3-Datei!
Tipp
Vier Augen sehen mehr als zwei Augen und vier Ohren hören mehr als zwei Ohren.
Laden Sie sich einen Freund ein und hören Sie sich die Musikbeispiele mit ihm gemeinsam an.
Diskutieren Sie über die Aussagen in diesem Bericht und über das, was Sie selber wahrnehmen.
Es geht hier nicht darum, mir recht zu geben.
Es geht darum, dass Sie ein Gespür für das Thema bekommen.
Das Hören will geübt sein und Sie werden ganz sicher von Tag zu Tag merken, dass Sie sicherer werden.
Wenn Sie aber das Gefühl haben, irgendwie „völlig auf dem Schlauch zu stehen“ und gar nicht weiter zu kommen, dann melden Sie sich bitte bei mir.
Sollte Ihnen dieser Bericht gefallen haben, würde ich mich über einen Kommentar von Ihnen sehr freuen!
Haben Sie vielen lieben Dank dafür!
Ihr Wolfgang Saul