Progressive Audio Extreme III
Ralf Koenen, Inhaber und Chef-Entwickler bei Progressive Audio, hat mich dazu eingeladen, seinen neuen Lautsprecher, die Extreme 3 zu hören.
Meine Erwartungen waren hoch, kannte ich doch die ersten beiden Modelle aus der neuen Serie mittlerweile sehr gut. Da ist die Extreme 1 vom Typ Regallautsprecher, bei der ich immer das Gefühl habe, einen 911-er aus der Garage zu holen, wenn ich sie aus dem Regal heraus nehme und auf die passenden Ständer stelle. Im Regal oder auf dem Highboard spielen sie toll, aber so frei im Raum aufgestellt, gehen die Kinnladen schon mal gern in Richtung Erdboden.
Nun gut – die Presse ist sich einig und voll des Lobes. Also können wir die Einser schon mal als „erledigt“ abhaken.
Aber was ist jetzt mit der Dreier?
Ganz oben im schlanken Gehäuse thront wie bei der Extreme 1 das Koaxial-Chassis von Seas. Vor mehr als 10 Jahren schon habe ich in diesen Räumen genau diese Chassis herumliegen sehen. Doch kann ich mich nur daran erinnern, dass sie als „nicht ernst zu nehmende Tröten“ abgetan wurden. Heute schaue ich mir die Extreme an und erblicke in der Dreier wie auch in beiden kleineren Modellen diese „Tröten“?
Ralf lächelt, nein, ich will ehrlich sein: Er grinst!
„Über zehn Jahre hat es gedauert, bis diese Chassis das konnten, was Du gleich hören wirst!“ höre ich ihn sagen. Er deutet an, dass er maßgeblich an der Weiterentwicklung beteiligt war und dass auch die Bässe für ihn speziell in einer 30 Ohm-Version gefertigt werden, aber mehr will er über die Zusammenarbeit nicht verraten. Ich kenne ihn lang genug, weiß, dass er solche Dinge nicht gern erzählt und bohre nicht weiter nach.
Ich setze mich auf seine Ledercouch und während er nach einer CD sucht, schaue ich mir die Box ein wenig genauer an. Schlank, elegant, klassisch, modern, nicht zu groß, nicht zu klein … und nach und nach drängt sich mir ein Begriff in den Vordergrund: Optisch perfekt!
Und eine Frage entsteht: „Wieso?“
Hat die Extreme ein atemberaubendes Design erhalten? Eine Form, die es so noch nie gegeben hat? Hängt man sie an die Decke? Verschwindet sie hinter Bildern? Oder ist da vielleicht eine so neue Idee vorhanden, dass man selbst niemals auf die Lösung gekommen wäre? Nein, stimmt alles nicht. Aber was stimmt denn dann? Wieso erfasst mich hier gerade dieses Gefühl der Anerkennung für dieses Design?
Und eigentlich ist das ziemlich schnell beschrieben:
Manche mögen bestimmte Farben, andere mögen sie nicht. Manche mögen bestimmte Formen, andere mögen sie nicht. Manche mögen bestimmte Muster, andere mögen sie nicht.
Was passiert, wenn man einfach alles, was auch nur irgendwie „Geschmack“ sein kann, Design seiner selbst Willen sein kann, Diplomatie sein kann, Trend sein kann …
… wenn man alles das einfach weg lässt?
Muss es ein Lautsprecher den Blüten unserer Blumen nachmachen, um Kunden wie Insekten anzulocken?
… muss er bunt gefiedert für uns tanzen?
Wer wie ich gerade vor der Extreme 3 sitzt und sie seit Minuten anstarrt, der merkt, dass in ihm etwas geschieht. Er verändert sich. Man glaubt, etwas zu erkennen, zu einer neuen Sicht der Dinge zu gelangen. Wozu andere durch Indien reisen, erlebt man hier auf seiner Couch. Die Einfachheit der Dinge, die Lehre Zarathustras, die Besinnung auf das Wesentliche …
Finden diese Veränderung in mir gerade wirklich statt, oder trifft die Extreme 3 mit ihrem Erscheinungsbild einfach nur meinen persönlichen Geschmack?
Ich weiß es nicht, aber ich bin mir sicher, dass Sie sich ähnliche Fragen stellen werden.
Dann startet die Musik. Im Player hat der FIM-Sampler Producer`s Choice I Platz genommen. Das erste Stück spielt an: Carmen Habanera Fantasia, Harold Faberman & Northwest Sinfonietta, zu bekommen bei Sievekind-Sound.
Nach wenigen Takten tut sich mir eine Erkenntnis auf und ich höre mich sagen: „Ist ja kein Wunder, dass so wenige Menschen zuhause klassische Musik hören. Weil Orchestermusik einfach keinen Spaß macht, wenn man keinen Hinweis darauf erhält, welche Instrumente in welcher Anzahl wo im Orchester ihren Platz haben. Es ist einfach schier unglaublich, wie selbstverständlich hier gerade jedes Instrument dreidimensional im Raum steht.”
Die Kastagnetten ziehen mich in ihren Bann mir geht der Begriff Holographie durch den Kopf. Mit Leichtigkeit erahnt man die Anstrengung und Hingabe des Musikers. Jeden einzelnen Gesichtszug, jede Falte sehe ich vor mir. Wieso ich von einem Musiker und nicht von einer Musikerin spreche? Ganz einfach, weil die Kastagnetten derart kräftig und körperhaft gespielt werden, wie ich es selten gehört habe, nicht einmal live. Diese Kraft kann nur in Männerhänden stecken. Wenn ich falsch liegen sollte, dann mag die Musikerin meine Ausführungen als Kompliment auffassen.
Doch ich konzentriere mich bereits auf die Geige, die sich hier in der Mitte auftut. Konzentriere ich mich wirklich? Muss ich mich konzentrieren, um die Geige zu hören? Nein, ich muss mich berichtigen. Es erfordert keiner Konzentration, dieser Geige zu lauschen. Sie wird mir so selbstverständlich präsentiert, dass ich mich frage, in welchem Saal diese Aufnahme wohl entstanden sein mag. Denn bei all meinen bisherigen Konzertbesuchen scheine ich entweder die falsche Lokalität gewählt zu haben oder ich habe auf dem falschen Platz gesessen.
Dieser Musiker spielt nur für mich, oder? Auch wieder falsch. Dafür ist er viel zu weit weg von mir.
Doch bevor ich meine Gedanken zu Ende bringen kann, lausche ich lieber dem Wechselspiel zwischen der kleineren, heller klingenden und der größeren, voller spielenden Geige. Kurz danach steigen die Streicher auf der rechten Seite mit ein.
Es gibt Bücher darüber, die uns die Platzierung der Instrumente in einem Orchester genau beschreiben. Wer wie ich gerade diese Carmen-Einspielung über die Extreme 3 hört, fragt sich: Wozu? Hört man doch!
Sie mögen keine klassische Musik?
O.k. – legen wir doch mal was ganz anderes auf. Sagt Ihnen noch Ummagumma etwas?
Richtig! Pink Floyd!
(Die eigentlich Bedeutung dieses Begriffs will ich hier mal dezent unbeachtet lassen).
Auf dieser Scheibe gibt es ein Stück namens „Grantchester Meadows“, das Roger Waters beigesteuert hat. Eine durch Akustikgitarre begleitete Folkballade – nichts besonderes also, oder doch?
Für diesen Artikel hat diese Aufnahme etwas Besonderes: Nämlich die Koexistenz von natürlichen und künstlichen Raumabbildungen, sowie die dreidimensionale Zuordnung von Geräuschen.
Da gibt es diesen zwitschernden Vogel, der hier und da ziemlich nervt.
Was aber viel mehr nervt als das Gezwitscher an sich, ist die Tatsache, dass der Tonmeister es mit der dreidimensionalen Verschiebung dieses Geräuschs arg übertreibt.
Über eher zweidimensional abbildende Lautsprecher mag es interessant wirken, wenn der Vogel scheinbar immer wieder von rechts nach links und umgekehrt im Zimmer umherfliegt. Obwohl man selbst bei einer Wiedergabe in Mono schnell bemerken wird, dass es sich immer wieder um den gleichen „Loop“, also um eine Aufnahmeschleife handelt.
Über die Extreme 3 abgehört, kommt aber noch die „Vorne-Hinten-Schiene“ dazu. Manchmal scheint der Vogel in greifbarer Entfernung vor einem zu singen und baut damit fast so etwas wie eine Barriere zwischen dem Hörer und der weiter hinten spielenden Musik auf.
Aber spätestens wenn man sich fragt, ob so ein Vogel denn wohl überhaupt in der Lage ist, während des Flugs so zu singen, kommt man schnell zur verneinenden Antwort und das lässt den Tonmeister dann vollends als Spielkind dastehen.
Anders wird es dann mit der Gans (oder ist es eine Ente?). Sie ist zunächst links zu hören und startet dann aus dem Wasser heraus nach rechts schwenkend. Das ist überzeugend echt!
Aber so richtig gut – ja ich weiß, dass man mich gleich zum Spinner erklären wird – richtig gut wird es zum Schluss, wenn die Musik schon aus ist.
Hier wiederholt sich das, was wir vom Vogel her kennen, jetzt aber mit einer dicken Stubenfliege.
Deutlich in jeder 3D-Achse ortbar und mit einer frappierend natürlich wirkenden Raumabbildung, steigt jemand links eine hölzerne Treppe herunter, geht nach rechts herüber und versucht, mit einer Klatsche diesen Brummer zu erlegen, bis er es dann mit einem heftigen Schlag fast genau in der Mitte zwischen den Boxen offensichtlich geschafft hat. Jedenfalls brummt danach nichts mehr.
Was das alles mit Musik zu tun hat?
Nichts und doch sehr viel.
Der Mensch sucht beim Musikhören nach akustischen Hinweisen und Erläuterungen. Er will verstehen was er da hört. Jetzt sind wir es gewohnt, diese Hinweise nicht oder nur unzureichend zu erhalten. Mit einer Extreme wird das wieder anders. Sie stellt die Musik dar als eine Fülle an Informationen. Echte, glaubhafte und deutliche Informationen. Aus einem Orchesterstück bildet sie eine Art Blumenstrauß an Informationen. Von Blüte zu Blüte können wir unsere Sinne wechseln lassen und jede einzeln oder den Strauß als Ganzes genießen.
Denn das erstaunlichste an sich ist tatsächlich, dass die Extreme 3 die Musik mit ihren analytischen Fähigkeiten nicht zerreißt.
Sicher haben Sie es auch schon einmal erlebt, wenn Boxen so „analytisch“ spielten, dass man glauben konnte, jeder Musiker spiele ein anderes Stück oder er befände sich gar in einem anderen Raum.
Bei der Extreme 3 ist das völlig anders. Weil sie jedem Instrument den richtigen Platz zuweist, es in der korrekten Größe abbildet und in der realen Entfernung zu den anderen Instrumenten positioniert. Ortbarkeit und Raumabbildung sind einfach „r-i-c-h-t-i-g“.
Unser Ohr registriert das.
Wir bekommen die Informationen, die wir benötigen, um unsere Fragen beantwortet zu bekommen. Und unser Kopf rekonstruiert den Originalschauplatz, gerade so, als seien wir bei der Aufnahme dabei gewesen.
Und ich will das noch einmal erläutern, weil es so wichtig ist:
Oftmals erhalten wir nur falsche oder viel zu wenig Informationen über den Aufnahmeraum. In der Folge resignieren wir und geben uns damit zufrieden.
Manche Lautsprecher geben uns die gewünschten Informationen. Aber durch winzige Phasenverschiebungen oder sonstige kleinste Konstruktionsfehler werden sie doch minimal verfälscht. Das ist anstrengend für den Hörer, weil das Gehirn hier permanent „Rätsel“ lösen muss, in der Form von: Kann das jetzt echt sein?
Die Extreme 3 bildet das Musikgeschehen (ich ziehe es hier absichtlich erneut auseinander) r-i-c-h-t-i-g ab.
Unser Gehirn bemerkt das und geht deshalb davon aus, das Original zu hören. Keine Rätsel kein Gefühl der Anstrengung. Unser Gehirn akzeptiert das Gehörte.
Ich bin in den letzten dreißig Jahren immer wieder mit neuen, erstaunlichen Lautsprechern in Berührung gekommen. Doch die letzte Begegnung ist ziemlich lange her. Heute ist es mal wieder so weit.
Besonders erstaunlich ist dabei, dass die Extreme 3 diese holographische Darstellung hinbekommt, ohne deshalb auf ein Fundament verzichten zu müssen, das wir benötigen, um den Tönen Körper zu verleihen.
Immer wieder ist es doch so, dass wir zwar das eine bekommen, aber nur, weil wir auf das andere verzichten müssen. Von Verzicht ist bei der Extreme 3 in keinem Bereich etwas zu spüren.
Bevor man auch nur auf die Idee kommen kann, „untenrum“ könnte etwas fehlen, serviert sie uns auch die tiefsten Töne in der gleichen Natürlichkeit wie alle anderen Frequenzbereiche auch, eben einfach
r-i-c-h-t-i-g.
Mein Fazit:
Ich war völlig ohne Absichten zu Progressive Audio gefahren, außer einfach mal wieder ein wenig zu quatschen. Und nun? Selbstverständlich habe ich ein Paar für meine Vorführung bestellt.
Gut – das ist jetzt nicht wirklich erwähnenswert – aber eines dagegen schon:
Eigentlich mag ich gar keine weißen Boxen.
Die Extreme 3 – die kommt mir aber nicht anders ins Haus als in weiß!
Und so fahre ich wieder nach Hause mit der Erkenntnis, dass die High-Fidelity auch nach 30 Jahren immer noch wieder ein paar Glanzpunkte zu bieten hat und man auch nach so einer langen Zeit noch wieder etwas dazulernen kann.